LAG Hamm, Urteil vom 23.02.2022, Az.: 10 Sa 492/21

 Ein Arbeitnehmer (AN) soll bei drei Mitarbeiterinnen Verhaltensweisen an den Tag gelegt haben, die diese als belästigend empfanden. Als ihn der Arbeitgeber (AG) mit den Vorwürfen konfrontiert, reagierte er mit anwaltlicher Stellungnahme, in der sämtliche Vorwürfe ausführlich bestritten wurden. Anschließend unterrichtete der AG die drei Mitarbeiterinnen über die Stellungnahme des AN. Nach Anhörung des Betriebsrates kündigte der AG das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß, jeweils als Tat- und Verdachtskündigung wegen sexueller Belästigung. Gegen die Kündigung erhob der AN Klage. In erster Instanz hatte er Erfolg. Gegen das Urteil legte der AG Berufung ein.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis wurde durch die fristlose Kündigung nicht beendet. Es kann dahinstehen, ob die vom AG behaupteten wichtigen Kündigungsgründe i.S.v. § 626 S. 1 BGB ganz oder teilweise zutreffen. Die Kündigung scheitert jedenfalls an der Verhältnismäßigkeit. Eine Kündigung ist nur wirksam, wenn eine mildere Reaktion, insbesondere eine Abmahnung, nicht zumutbar ist. Die Vorwürfe der Mitarbeiterinnen sind bei einer schwierigen Grenzziehung zwischen sexueller Belästigung und vermeintlich sozial adäquatem Verhalten vage. Es ist davon auszugehen, dass eine Abmahnung als eindringliches Stopp-Signal und Warnung für die Zukunft den AN veranlasst hätte, einen professionellen Umgang mit den Mitarbeiterinnen zu wahren.