BVerfG, Beschluss vom 24.11.2021. Az.: 1 BvL 1/19

Ein Grundstückseigentümer (E) wandte sich gegen die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung einer Straße. Seine Grundstücke hatten bereits 1989 eine Straßenanbindung bekommen. 2007 wurde die Straße als Gemeindestraße gewidmet. Den finalen Bescheid erhielt E jedoch erst 2011. Die dagegen gerichtete Klage des E blieb zunächst erfolglos. Auf die Revision des Klägers setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP in Verbindung mit § 169 Abs. 2 S.1 Nr. 2, § 170 Abs. 1 AO mit Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Vorhersehbarkeit vereinbar sei, soweit er die Erhebung von Erschließungsbeiträgen zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage erlaubt.
Das BVerfG erklärte die KAG-Regelung für verfassungswidrig, da sie mit dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit unvereinbar ist. Das Gebot schütze davor, lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten heranzuziehen. Die Betroffenen sollen nicht dauerhaft im Unklaren bleiben, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entstehung der Beitragspflicht ist nicht die Widmung der Straße, sondern der Zeitpunkt, zu dem für den Grundstückseigentümer der Vorteil entstanden ist. Der Begriff der Vorteilslage muss an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten anknüpfen. Die rechtlichen Voraussetzungen der Entstehung der Beitragsschuld sind dafür nicht relevant.